Fans rein, Journalisten raus – das fragwürdige Presse-Verständnis beim ESC

Eurovision Song Contest Presse

„Merci, Chérie“-Host Sonja Riegel, die schon seit vielen Jahren als Journalistin rund um den Eurovision Song Contest arbeitet, hat diesen Text über die fragwürdige Vergabe von Akkreditierungen beim ESC verfasst. Zuerst ist er auf ihren Social-Media-Kanälen (z.B. Instagram / Facebook / Bluesky) erschienen.

Der Eurovision Song Contest hat ein Medien-Problem: EBU und nationale Sender sind sich uneins bei der Vergabe von Akkreditierungen, Fans werden Journalisten vorgezogen und die Diversität bleibt auf der Strecke. Ich habe das in diesem Jahr selbst erfahren müssen.

Obwohl ich hauptberufliche Journalistin bin, einen Presseausweis besitze, für ein Medium mit Millionen-Reichweite und mit viel ESC-Content arbeite sowie jahrzehntelange ESC-Erfahrung und weitere ESC-Jobs als freie Journalistin vorweisen kann, habe ich keine Vor-Ort-Akkreditierung für den Eurovision Song Contest 2025 in Basel bekommen. Und musste stattdessen aus der Ferne mit ansehen, wie der Pressebereich beim ESC einmal mehr von Fans bevölkert war.

Unterschiede zwischen On-Site und Off-Site sind den Delegationen nicht klar

Zuständig für die Akkreditierungen von Journalisten sind die Delegationen der Teilnehmerländer, in meinem Fall also die deutsche. Die hat laut eigener Aussage in diesem Jahr 50 Vor-Ort-Akkreditierungen und 50 Online-Akkreditierungen vergeben dürfen und musste damit auch die eigenen ARD-Leute versorgen (insgesamt gab es 1.000 Plätze vor Ort und 500 online). Über 60 Menschen musste man offenbar komplett absagen. Ich stand auf einmal nur mit einem Online-Zugang da, den ich nie angefragt hatte. Für meine Zwecke, bei denen die Querfinanzierung für Texte, Podcast-Teilnahmen und Co. inzwischen auf Video-Content beruht, war ein Vor-Ort-Zugang aber unerlässlich. Das hatte ich in der Anfrage auch so beschrieben.

Im Nachhinein stellte sich heraus: Für die deutsche Presseabteilung bedeutete der Unterschied zwischen einem Vor-Ort-Zugang und dem Online-Pressezentrum lediglich, Zitat: „Dort einen Schreibtisch zu haben, in die jeweils erste Generalprobe zu können und physisch zur abschließenden Sieger-PK.“ Darüber war ich dann doch sehr erstaunt. Denn ja, nach der ersten Generalprobe hatten wir eigentlich Podcast-Folgen aufnehmen wollen, was dann flachfiel. Aber für bleistiftrocker.de und alles andere hätte ich zwingend auch Zugang zu Turquoise Carpet, Presserunden im Medienzentrum etc. gebraucht.

Die Reichweite entscheidet – oder?

Zwar hatte die deutsche Delegation auch Online-Akkreditierte zu einem Termin mit dem deutschen Act in Basel eingeladen. Allerdings hat die EBU in ihrem Medien-Handbuch nicht nur angegeben, dass nur Menschen mit Vor-Ort-Akkreditierung beispielsweise technisches Equipment mit ins Eurovision Village nehmen dürfen. Es stand außerdem darin, dass sich auch nur diese Menschen beim Eurovision Song Contest „wie Journalisten verhalten“ dürfen. Alles in allem eine viel zu große Einschränkung und auch ein zu großer Wettbewerbsnachteil für mich.

Die EBU schrieb auf ihrer Akkreditierungsseite übrigens: „Bei der Bewilligung von Anträgen wird in jedem Fall den Vertretern der reichweitenstärksten Medien der Vorzug gegeben.“ Von der deutschen Delegation habe ich im Nachhinein allerdings die Information bekommen, man habe „in erster Linie die Größe des Mediums und seine Erscheinungsweise“ bedacht. Was auch immer „Erscheinungsweise“ bedeutet. Der Eindruck ist klar: Die Sender suchen sich ihre eigenen Kriterien raus, wie sie gerade passen. Der EBU ist es egal. Und ich bin einfach unter die Räder gekommen.

Selfiejäger statt Journalisten im Pressezentrum

Ohnehin spielt die EBU in dieser Geschichte eine sehr unrühmliche Rolle. Denn: Sie ist unter anderem dafür zuständig, dass Jahr für Jahr auch zahlreiche Fans das Pressezentrum bevölkern. Sogenannte Fanmedien, die auf unbezahlter Arbeit basieren, sind teilweise gleich mit einer Handvoll Leuten vor Ort. Da stimmt dann einfach die Verhältnismäßigkeit nicht. Außerdem sind, warum auch immer, zahlreiche Fanclub-Vertreter anwesend. Die Vergabepraxis führt dazu, dass Autogramm- und Selfiejäger im Pressezentrum rumlungern. Und dass während Shows rumgesprungen und rumgeschrien und während Pressekonferenzen applaudiert wird. Das fand ich als Koexistenz schon immer fragwürdig. Wenn diese Fans aber den Vorzug vor hauptberuflichen Journalisten bekommen, finde ich es schlicht nicht hinnehmbar. Menschen verbringen ihren Urlaub mit Akkreditierung um den Hals, während andere genau deshalb ihrer Arbeit nicht nachgehen können.

Ein weiteres Problem ist meiner Meinung nach die fehlende Diversität im Medienzentrum. Schaut man sich beispielsweise die Teamaufstellungen der Fanmedien an, wird der Männerüberschuss sofort deutlich. Es ist beim ESC eigentlich nicht anders als in Fußball-Pressebereichen: Männer besetzen wie selbstverständlich die Plätze und kumpeln untereinander rum. Boys support boys. Dabei werden Themen übersehen oder unterbetont, die wichtig sind, zum Beispiel die Rolle von Frauen auf der ESC-Bühne. Weibliche Stimmen, die solche Dinge sichtbar machen, sind im Pressezentrum absolut unterrepräsentiert.

Online-Zugang eine Katastrophe

Und das liegt natürlich auch an den Männern, die seit Jahren diesen Ort wie Platzhirsche besetzen und kaum Interesse an einem Wandel zu haben scheinen. Mir sagte mal ein Mitglied der deutschen Delegation sinngemäß: Wenn man für den ESC eine Presseanfrage von einer Frau bekommt, weiß man, dass sie auch wirklich berichten wird. Denn dass sich nicht wenige männliche Fans irgendwelche ESC-Marken ersonnen haben, nur, um durch eine Akkreditierung möglichst nah dran zu sein, ist ein offenes Geheimnis. Aber niemand spricht sich mal offen dagegen aus, selbst wenn es zulasten von Journalismus geht. Wie gesagt: Boys support boys.

Und die EBU? Schweigt. Meine Nachfragen sind bislang komplett ignoriert worden. Feedback zum diesjährigen Erlebnis im Pressebereich wurde auch nicht eingeholt. Kein Wunder, denn das Online-Pressezentrum war eine Katastrophe: Die Streams immer wieder mit Hängern und sehr schlechter Ton- und Bildqualität, ein halbstündiger Ausfall während der Juryshow, die für das Endergebnis relevant war und eine Siegerpressekonferenz, die entgegen der Ankündigung gar nicht übertragen wurde. Keine Ahnung, wie man damit vernünftig hätte arbeiten sollen.

Unterstützung erwünscht!

Für mich ist die aktuelle Situation katastrophal. Wie es aussieht, falle ich mit meinen Voraussetzungen – hauptberufliche Journalistin, Ein-Personen-Team, viele verschiedene Ausspielwege, große Reichweite – komplett durchs Raster, während haufenweise Fans die Presseplätze besetzen. Ich habe langjährige Expertise, ich würde gerne weiterhin vom ESC berichten – aber so wie in diesem Jahr ist es mir schlicht nicht mehr möglich. Die Absage für die Vor-Ort-Akkreditierung kam zwei Wochen, bevor ich nach Basel aufgebrochen wäre. Als freie Journalistin komme ich für diese Zeit dann nicht mal eben noch in andere Dienstpläne oder zu anderen Jobs. Ich hatte durch all das Verdienstausfall und Stress mit Stornierungen.

Ich würde mir von der EBU, der deutschen Delegation (die Zuständigkeit wechselt ja jetzt), Journalisten-Kollegen und auch ESC-Fans deutlich mehr Unterstützung wünschen in Sachen Journalismus und Diversität im Pressezentrum beim ESC. Denn ich habe derzeit leider keine Ahnung, wie ich im aktuellen System meinen Job weiterhin ausüben soll.

 

Anmerkung zur Situation von „Merci, Chérie“ beim ESC 2025: Marco hatte in Basel wie schon in den Vorjahren als Berichterstatter für den Standard eine On-Site-Akkreditierung. Alkis als Online-Akkreditierter litt dagegen an den völlig unzulänglichen Streams im Online-Pressezentrum. Auch Marco konnte sich (wie viele andere On-Site-Akkreditierte) dadurch keine Probenshows online in seiner Unterkunft ansehen.

 

Text und Foto: Sonja Riegel

1 Gedanke zu „Fans rein, Journalisten raus – das fragwürdige Presse-Verständnis beim ESC“

  1. Liebe Sonja , erstmal Danke für deinen Bericht, den ich genauso unterschreiben würde.
    2011 in Düsseldorf war ich eine von 5 Fanakkreditierten des deutschen Fanclubs und auch die einzige Frau die eine solche erhielt. Ja, ich bin Fan und keine gelernte Journalistin, aber ich habe meinen „Job“ sehr ernst genommen. Ich habe Pressekonferenzen besucht, die Proben angesehen, und mir Notizen gemacht, damit ein brauchbarer Artikel für die Clubzeitung entsteht. Um an Pressematerial zu kommen, musste ich mich ganz schön ins Zeug legen, denn Pressefächer bekamen nur Journalisten und Blogger. Und manche Bloggs waren (und sind es bis heute) mit sechs oder sieben Akkreditierungen vor Ort. Da frage ich mich: warum die, und nicht Leute wie Du oder Alkis, die das ja hauptberuflich machen? Auch der von mir hochgeschätzte Thomas Mohr hatte im letzten Jahr nur eine Online-Akkreditierung erhalten, obwohl er zum NDR gehört.
    Ich hoffe sehr das jemand von der EBU Deine Zeilen liest. Aber ob sich dieses eingefahrene System nochmal ändert? Ich würde es mir wünschen.

    Liebe Grüße aus Offenbach

    Petra Maneval

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